Eine der bekanntesten Definitionen von Erziehung stammt von Brezinka. Seine Definition beschreibt selbstverständlich die normale Erziehung in Elternhaus und Schule: «Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht beurteilt werden, zu verhüten.» (Brezinka 1990, 95) Diese Definition wird in Fachbüchern häufig zitiert (Steinebach 2003; Krapp/Weidenmann 2006; Nolting/Paulus 2018. Der Begriff Disposition wird hier als Synonym für die jeweils individuelle Struktur von Wissen, Denken, Fühlen, Wollen und Handeln verstanden (vgl. Heinerth 1979).
Die Definition von Brezinka ist für eine Definition der Nacherziehung ebenfalls gültig, benötigt aber eine Ergänzung: «Unter Nacherziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Disposition, die als schlecht beurteilt werden, zu verhüten respektive solche negativen Dispositionen oder Verhaltensweisen zu verringern und möglichst aufzugeben. Nacherziehendes Handeln basiert auf Beziehung, ist analytisch, erzieherisch, re-edukativ (wieder erziehend), konstruktiv und zielgerichtet.»
Diese ergänzte Definition enthält die zusätzlichen Aufgaben von Nacherziehung, bei der es immer darum geht, bereits chronifizierte Dispositionen oder Verhaltensweisen wie z.B. selbst- oder fremdschädigendes Verhalten, Drogenmissbrauch oder delinquente Handlungen zu modifizieren, zu verringern oder aufzugeben.
In diesem Sinn ist das geltende Verständnis des Erziehungsbegriffs (vgl. Steinebach 2003, 17) für die Nacherziehung ebenfalls zu erweitern:
- Nacherziehung ist Handeln, also ein Geschehen, das geplant und reflektiert und mit Argumenten begründet werden kann.
- Erzogen und nacherzogen werden nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene und alte Menschen stehen in (Nach-) Erziehungsprozessen.
- Im Nacherziehungsprozess werden zumindest mittel- oder längerfristig psychische Dispositionen beeinflusst. Kurzfristige Änderungen im Verhalten sind hier nicht gemeint.
- Es sollen jene Dispositionen aufgebaut werden oder erhalten bleiben, die als positiv erachtet werden.
- Es sollen jene Dispositionen verhütet respektive verringert oder überwunden werden, die als negativ bewertet werden.
Diese Definition von Nacherziehung ist in Zukunft sicherlich noch zu optimieren. Eine der Zielsetzungen dieser Definition war zu analysieren, wieweit die Inhalte der Nacherziehung innerhalb der heutigen erziehungswissenschaftlichen Definitionen zu positionieren sind. Rein von der Definition her kann dieser Versuch als gelungen betrachtet werden. Das nächste Kapitel wirft die Nacherziehung allerdings steil aus der heutigen Erziehungswissenschaft hinaus in den Bereich der pädagogischen Unwissenschaftlichkeit.