«Ein Erziehungsstil kennzeichnet die durchgängige Grundhaltung, in der ein Lehrender bestimmte Lernende langfristig zu beeinflussen versucht» (Riedel 2012). Von Diana Baumrind stammt das bekannteste Modell der Erziehungsstile, das in abgewandelter Form auch in der Führungslehre als ‹Führungsstile› Anerkennung gefunden hat. Baumrind definierte vier Erziehungs- und Führungsstile und bezeichnete als erste den autoritativen Erziehungsstil, der klar zu unterscheiden ist vom autoritären Erziehungsstil.
Der autoritative Erziehungsstil ist eine Kombination von responsiveness (Zuwendung, Reaktionsbereitschaft auf ausgedrückte Bedürfnisse, Hegung) und demandingness (Lenkung, Anforderung, Kontrolle). Die Erziehungswissenschaft und die professionellen Pädagog:innen sind sich einig: Der autoritative Erziehungsstil
Abb. 24: Die vier Erziehungsstile

Quelle: Baumrind 1987
erweist sich als am Geeignetsten, um Jugendliche zu neuen Erfahrungen zu führen, ihnen beim Aufbau von neuen Kompetenzen zu helfen und ihnen begleitend zur Seite zu stehen – er ermöglicht eine optimale Erziehung (Schlieckau 2009; Beelmann/Raabe 2007).
Der autoritative Erziehungsstil soll als unterstützender Prozess wirken und somit im Lauf der Zeit einen Abbau der Entwicklungsdefizite und Störungen bewirken. Dieser Erziehungsstil verlangt von den Erziehenden eine hohe Präsenz im Hier und Jetzt, eine wache Aufsicht und eine persönliche Authentizität als ein sich Selbst hineingeben. Dies zeigt sich in einer inneren Haltung von Offenheit, Akzeptanz und Schicksalsrespekt und in einem nicht nachlassenden Vertrauen in die Jugendlichen (vgl. Lengning/Lüpschen 2012; Spangler/Zimmermann 2011; Bowlby 2011b). Auf der praktisch-pädagogischen Eben verlangt der autoritative Erziehungsstil geduldiges Vertreten eindeutiger Positionen, verbindliche Absprachen, gleichbleibende Regeln, klare Grenzsetzung, Verlässlichkeit und Konsequenz.
In der Nacherziehung ist die pädagogische Haltung von Betreuenden ein sehr zentrales Thema – und für viele Pädagog:innen zuerst mal eine Crux. Denn eine der wesentlichen Grundlagen einer anzustrebenden Haltung den Jugendlichen gegenüber beinhaltet die Selbsterziehung. Im ‹Heilpädagogischen Kurs› spricht Steiner bereits 1924 über die Bedingungen der Selbsterziehung und betont, man dürfe sich in der Pädagogik nie über andere Menschen stellen, sondern sich vielmehr «als ein Glied des ganzen Lebens» fühlen. Man müsse sein Gefühlsleben so entwickeln, dass man sich nicht dem Leben gegenüberstellt, sondern mitten in das Leben hinein: «Bin ich Erzieher und mein Zögling entspricht nicht dem, was ich wünsche, so soll ich mein Gefühl zunächst nicht gegen den Zögling richten, sondern gegen mich selbst. Ich soll mich so weit als eins mit meinem Zögling fühlen, dass ich mich frage: ‹Ist das, was beim Zögling nicht genügt, nicht die Folge meiner eigenen Tat?› Statt mein Gefühl gegen ihn zu richten, werde ich dann vielmehr darüber nachdenken, wie ich mich verhalten soll, damit in der Zukunft der Zögling meinen Forderungen besser entsprechen könne. Aus solcher Gesinnung heraus ändert sich allmählich die ganze Denkungsart des Menschen. Das gilt für das Kleinste wie für das Grösste. Ich sehe aus solcher Gesinnung heraus zum Beispiel einen Verbrecher anders als ohne dieselbe. Ich halte zurück mit meinem Urteile und sage mir: ‹Ich bin nur ein Mensch wie dieser. Die Erziehung, die durch die Verhältnisse mir geworden ist, hat mich vielleicht allein vor seinem Schicksale bewahrt.› Ich komme dann wohl auch zu dem Gedanken, dass dieser Menschenbruder ein anderer geworden wäre, wenn die Lehrer, die ihre Mühe auf mich verwendet haben, sie hätten ihm angedeihen lassen. Ich werde bedenken, dass mir etwas zuteil geworden ist, was ihm entzogen war.» (Steiner 2010a, 106)
Andere Autoren setzen andere Präferenzen. Schlieckau vertritt die Ansicht: «Die Nacherziehung als Basistherapie ist von psychoanalytisch orientierten Pädagogen zu leisten» (2009, 260). Garibovic (2015) bevorzugt eine systemische Grundhaltung. Nach meiner Erfahrung ist der lehr – und methodenbedingte Hintergrund jedoch zweitrangig. Die Erziehenden müssen primär über eine erprobte humanistische Grundhaltung verfügen, die zuerst echtes Interesse am Menschen, Respekt vor dem Leben und seiner Vielfältigkeit beinhaltet. Eine pädagogische Haltung birgt in sich eine pädagogische Liebe zu Kindern und Jugendlichen und das Bemühen darum, als ‹caregiver› (= betreuender) Anwalt des Kindswohls, Vorbild und Autorität zu sein (Baumrind 1971). Pädagog:innen in stationären Einrichtungen übernehmen in ihrer Rolle der Erziehenden teilweise Elternfunktionen. Sie leben für die Jugendlichen neue, z.T. ungewohnte Rollenbilder als authentische, empathisch-zugewandte, aufmerksame, nicht moralisierende, ausreichend wohlwollende und Grenzen setzende Erwachsene, die möglichst oft und regelmässig physisch, seelisch und geistig anwesend sind – und damit eine Beziehungskonstanz überhaupt erst ermöglichen.